Der Einzug des Vorparlaments in die Paulskirche am 21. März 1848, Frankfurt am Main

Orte deutscher Demokratiegeschichte in der Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main

Im 19. Jahrhundert sowie nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur und des Zweiten Weltkrieges entwickelten die Rhein-Main-Anrainer das Interesse an einem Zusammenschluss zu einem neuen wirtschaftlichen Großraum. Diese Bestrebungen mündeten 1995 schließlich in der Anerkennung der Metropolregion durch die Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO).

Die Stadt Frankfurt rückte bereits in der Zeit der Gründungen der Deutschen Burschenschaften ab 1815 mit ihren Reichsfarben „Schwarz-Rot-Gold“ und der Devise „Ehre, Freiheit, Vaterland“ in den Fokus der nationalen Bewegung, die ihren Höhepunkt mit dem Hambacher Fest 1832 (Hambach, Stadtteil der kreisfreien Stadt Neustadt an der Weinstraße) und dem Frankfurter Wachensturm hatte. Der Frankfurter Wachensturm vom 3. April 1833 war der im Vormärz gescheiterte Versuch von etwa 100 Aufständischen, durch einen Überfall auf die Hauptwache und die Konstablerwache in Frankfurt eine allgemeine Revolution in Deutschland auszulösen.

Favorit bei der Wahl zur Bundeshauptstadt

Auch im 20. Jahrhundert zeigte sich die Bedeutung Frankfurts als Ort deutscher Demokratiegeschichte, 1949 wäre die Stadt beinahe Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland geworden. Am 10. Mai 1949, zwei Tage nach der dritten Lesung und der vorläufigen Verabschiedung des GrundgesetzesÖffnet sich in einem neuen Fenster für die Bundesrepublik Deutschland, sprachen sich die Mitglieder des Parlamentarischen Rates in einer geheimen Abstimmung mit 33 zu 29 Stimmen gegen Frankfurt und für Bonn als provisorischer Bundeshauptstadt aus. Die endgültige Klärung der Hauptstadtfrage sollte nach einer Entscheidung der Ministerpräsidenten jedoch dem künftigen Bundestag vorbehalten bleiben. Dieser kam am 7. September 1949zu seiner konstituierenden SitzungÖffnet sich in einem neuen Fenster zusammen und wählte Bonn mit 200 zu 179 Stimmen zum vorläufigen Sitz von Parlament und Regierung. Die engagierte Fürsprache Konrad Adenauers für Bonn als Bundeshauptstadt hatte hieran einen entscheidenden Anteil.

„Haus der Länder“

Ein weiterer Ort deutscher Demokratiegeschichte und des Föderalismus der Bundesrepublik ist die Villa Rothschild, das sogenannte „Haus der Länder“ in Königstein im Taunus.

Hierzu kam es wie folgt: Am 1. Juli 1948 erhielten die elf westdeutschen Ministerpräsidenten von US-Militärgouverneur Lucius D. Clay, im Beisein von dessen britischen und französischen Kollegen, Sir Brian Robertson und Pierre Koenig, im US-amerikanischen Hauptquartier in Frankfurt am Main, den Auftrag, eine Verfassung zu erarbeiten und einen westdeutschen Teilstaat zu gründen. Den Ministerpräsidenten wurden für diesen historisch bedeutsame Auftrag die so genannten „Frankfurter Dokumente“ ausgehändigt, die auf der Londoner Sechsmächte-Konferenz zusammengestellt worden waren und Empfehlungen und Leitlinien für die bevorstehenden Gespräche beinhalteten.

Die zum Beginn der Verhandlungen einberufene so genannte „Rittersturz“-Konferenz (8. bis 10. Juli 1948) in einem Hotel oberhalb von Koblenz mündete in die „Koblenzer Beschlüsse“. Darin wurden der Zusammenschluss der drei westlichen Besatzungszonen zur Bundesrepublik Deutschland und die Abtrennung von der sowjetischen Besatzungszone festgelegt. Eine Vereinigung Deutschlands erachteten die Ministerpräsidenten zu diesem Zeitpunkt als nicht realisierbar, wenngleich sie betonten, dass die Gründung der Bundesrepublik Deutschland lediglich ein Provisorium sein solle und die Gründung eines gesamtdeutschen Staates langfristig wieder angestrebt werde. Eine „Verfassungsgebende Versammlung“, wie von den West-Alliierten in den „Londoner Beschlüssen“ vorgeschlagen, lehnten die Ministerpräsidenten ab – vielmehr sprachen sie sich für einen „Parlamentarischen Rat“ aus, der ein „Grundgesetz“ erarbeiten sollte. Nach der ersten Zusammenkunft der Ministerpräsidenten in Koblenz wurde nunmehr ein geeigneter, zentral gelegener Verhandlungsort für weiterführende Gespräche auf dem Weg zur Bundesrepublik Deutschland gesucht. Die Wahl fiel auf die Villa Rothschild. Die Stadt Königstein im Taunus bot durch ihre Mischung aus guter Erreichbarkeit und idyllischer Abgeschiedenheit eine ideale Lage.

 

Villa Rothschild

Am 24. März 1949 war Königstein Schauplatz eines wegweisenden Zusammentreffens der westdeutschen Ministerpräsidenten: Ungeachtet des Einspruchs der Alliierten beschlossen die elf Länderchefs in Königstein die Einführung eines bundeseinheitlichen Wahlrechts durch den Parlamentarischen Rat. US-Militärgouverneur Clay hatte zuvor erklärt, dass für die Festlegung des Wahlrechts jeweils die Landtage zuständig sein sollten und der Parlamentarische Rat nur die Anzahl der Abgeordneten der deutschen Länder bestimmen dürfe. Nachfolgend gestanden die Westalliierten dem Parlamentarischen Rat die Festlegung des WahlsystemsÖffnet sich in einem neuen Fenster zwar zu, verweigerten ihm aber die Verabschiedung eines Wahlgesetzes. Das vom Parlamentarischen Rat daraufhin zunächst nur vorgelegte Wahlgesetz, eine Mischung aus Verhältniswahlrecht nach Listen und Persönlichkeitswahlrecht in den Wahlkreisen, wurde am 15. Juni 1949 durch die Ministerpräsidenten im hessischen Kurort Schlangenbad nahe Wiesbaden verabschiedet und offiziell verkündet. Die Einführung eines bundeseinheitlichen Wahlrechts, ein Beschluss, der in der Villa Rothschild gefasst wurde, war somit vollzogen. Am 14. August 1949 wurde der erste Deutsche Bundestag gewählt. Die Frage des Wahlrechts hatte Konrad Adenauer bereits im August 1948 als „von entscheidender Bedeutung für die politische Zukunft Deutschlands“ bezeichnet. In Königstein wurde sie entschieden und die Villa Rothschild dadurch zu einem wahrhaftigen Ort deutscher Demokratiegeschichte.

„Königsteiner Schlüssel“

Eine Woche nach dem richtungsweisenden Wahlrechtsbeschluss, am 31. März 1949, kamen die Regierungschefs der westdeutschen Länder in einem weiteren Punkt überein: Im „Staatsabkommen über die Finanzierung wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen“ vereinbarten die Ministerpräsidenten, für wissenschaftliche Institutionen von überregionaler Bedeutung auch finanzielle Zuschüsse anderer Länder zuzulassen, sofern die erforderlichen Mittel für die erfolgreiche Umsetzung der Forschungsaufgaben nicht von der zuständigen Landesregierung allein aufgebracht werden können. Dieser Modus, der erst im Jahr 1969 verfassungsrechtlich abgesichert wurde, erhielt die Bezeichnung „Königsteiner Schlüssel“. Das dem Königsteiner Schlüssel zugrunde liegende Königsteiner Staatsabkommen löste das Staatsabkommen über die Errichtung einer deutschen Forschungshochschule in Berlin-Dahlem und die Finanzierung deutscher Forschungsinstitute vom 3. Juni 1947 zwischen den Ländern Bayern, Württemberg-Baden und Hessen ab. Hintergrund war die Notwendigkeit, ein Modell zur Finanzierung der Forschungsförderung in allen westdeutschen Ländern zu etablieren, nicht nur der Einrichtungen in der amerikanischen Zone. Im März 1949 wurde zu diesem Zweck ein neuer Verteilungsschlüssel festgelegt, um die Kosten überregional bedeutender Forschungseinrichtungen gerecht auf die einzelnen Länder zu verteilen. Im „Haus der Länder“, so wurde die Villa Rothschild fortan offiziell bezeichnet, trafen sich in den Gründerjahren der Bundesrepublik Politiker wie Theodor Heuss, Ludwig Erhard und Ernst Reuter mit zahlreichen Diplomaten aus der ganzen westlichen Welt.

Darmstadt bzw. das Großherzogtum Hessen

Das Großherzogtum Hessen, auch Großherzogtum Hessen-Darmstadt genannt, bestand von 1806 bis 1919. Es ging 1806 aus dem Reichsfürstentum der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt hervor. Die regierenden Fürsten entstammten dem Hause Hessen und führten nach der Erweiterung ihres Herrschaftsgebietes um die linksrheinischen Gebiete in Anlehnung an die ehemalige Pfalzgrafschaft bei Rhein den Titel Großherzog von Hessen und bei Rhein. Haupt- und Residenzstadt war Darmstadt; andere bedeutende Städte des Großherzogtums waren Mainz, Offenbach, Worms und Gießen, allesamt heute Städte in der Metropolregion Rhein-Main.

Das Großherzogtum war von 1815 bis 1866 ein Mitgliedstaat des Deutschen Bundes. Mit seinen nördlich des Mains gelegenen Gebieten gehörte es von 1867 bis 1870 dem Norddeutschen Bund an und war von 1871 bis 1919 ein Gliedstaat des Deutschen Kaiserreiches. Bei Entstehung der Weimarer Republik wurde es in den Volksstaat Hessen umgewandelt, einen Vorläufer des heutigen Landes Hessen. Darmstadt wurde kurzzeitig bis 1933 zu einem Ort deutscher Demokratiegeschichte: Im Kollegiengebäude, dem heutigen Sitz des Regierungspräsidenten des Regierungsbezirks Darmstadt waren das Hessische Innenministerium unter Leitung des Hessischen Innenministers Wilhelm Leuschner (1890-1944), und das Hessischen Finanz- und Justizministerium unter Leitung des Hessischen Finanz- und Justizministers Ferdinand Kirnberger (1875-1962) in den Jahren 1928 bis 1933 untergebracht, 1933 wurden beide Minister durch die Nationalsozialisten ihrer Ämter enthoben.

Wiesbaden bzw. das Herzogtum Nassau

Wiesbaden, die Hauptstadt des Herzogtums Nassau, wurde erst spät zu einem Ort deutscher Demokratiegeschichte. Im 19. Jahrhundert war es die Residenzstadt der Herzöge zu Nassau mit der Sommerresidenz im Schloss Biebrich am Rhein und der Winterresidenz im Stadtschloss, dem heutigen Hessischen Landtag. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Wiesbaden zur Kur- und Adelsstadt, in der Kaiserzeit gar zur Weltkurstadt und auch „Kaiserstadt“, durch zahlreiche Kur- und Kultur-Aufenthalte von Kaiser Wilhelm I. Kaiser Friedrich III. und Kaiser Wilhelm II., der die Internationalen Maifestspiele etablierte. Demokratiegeschichte wurde in Wiesbaden erst nach 1945 geschrieben. Wiesbaden wurde Hauptstadt von dem alliierten Provisorium Groß-Hessen und schließlich 1946 Landeshauptstadt, eine Entscheidung, die durch die US-amerikanische Besatzung gelenkt wurde. Das Stadtschloss wurde zum Sitz des Hessischen Landtags. Die konstituierende Sitzung im Musiksaal des Landtags machte Wiesbaden zu einem Ort deutscher Demokratiegeschichte, denn Hessen wurde als eines der ersten Länder in die parlamentarische „Freiheit“ entlassen. Der von den Amerikanern eingesetzte und aus dem Schwarzwald stammende Karl Geiler (1878-1953) wurde der erste (nicht gewählte) Hessische Ministerpräsident („Ministerpräsident von Groß-Hessen“).

Schloss mit Eckportal und wehender Fahne

Geiler leitete wichtige Schritte zur Demokratisierung in Hessen ein: Er berief einen Beratenden Landesausschuss (Groß-Hessen), der am 26. Februar 1946 im Nassauischen Landestheater (ehem. königlichen Theater) erstmals zusammentrat. Vier Monate später, am 30. Juni 1946 wurde die Verfassungsberatende Landesversammlung (Groß-Hessen) gewählt. In den Verhandlungen wurde deutlich, dass die politischen Parteien ihr Recht der politischen Partizipation mehr und mehr einforderten und die Zeit der überparteilichen Regierung Geiler ablief. Die Hessische Verfassung, die am 1. Dezember 1946 in einer Volksabstimmung angenommen wurde, war das Werk der Parteien, nicht das Werk Geilers, der in vielen Sachfragen anderer Meinung gewesen sein soll. Die SPD drängte nach der Landtagswahl in Hessen 1946 an die Macht und wollte Geiler, der sich inhaltlich mehr auf CDU und FDP stützte, durch einen eigenen Kandidaten ersetzen. Geiler hatte gehofft, als Ministerpräsident einer Großen Koalition im Amt bleiben zu können. Am 20. Dezember 1946 trat er enttäuscht zurück. Zu seinem Nachfolger wurde Christian Stock (SPD) berufen, der als erster gewählter Hessischer Ministerpräsident die Amtsgeschäfte aufnahm.

Außenansicht Staatstheater Wiesbaden

Mainzer Republik 1793

Ebenfalls Teil der Metropolregion Rhein-Main, ist die „Mainzer Republik“ als der älteste „Versuch“ einer republikanischen verfassten Gebietskörperschaft auf deutschsprachigem Boden zu nennen. Die „Mainzer Republik“ umfasste den Raum von Mainz bis zum heutigen fränkischen Landkreis Miltenberg am bayerischen Untermain und weist mit den drei Vorkämpfern, dem in Gernsheim geborenen Professor Friedrich Lehne (1771-1836) dem fränkischen Revolutionär Adam Lux (1765-1793), und dem Odenwälder Theologen und Priester Felix Anton Blau (1754-1798) Protagonisten aus den heutigen hessischen, bayerischen und badischen Teilen der Metropolregion auf. Die Gründung der „Mainzer Republik“ war eine Folge des Ersten Koalitionskrieges, in dem eine Allianz aus Österreich, Preußen und einigen kleineren deutschen Staaten gegen das revolutionäre Frankreich vorging, um die absolute Monarchie wiederherzustellen, die ihren Höhepunkt unter König Ludwig XIV. (1642-1715), dem sogenannten „Sonnenkönig“ hatte. König Ludwig XVI. war im Januar 1793 als der letzte Monarch des „Ancien Régime“ von den Revolutionären durch die Guillotine hingerichtet worden. Da die „Mainzer Republik“ unter dem Schutz der französischen Revolutionstruppen stand, wurde sie zu den so genannten „Tochterrepubliken“ Frankreichs gezählt. „Hauptstadt“ war das französisch besetzte Mainz – Mayence -, das ihr auch den Namen gab. Der „Freistaat“ auf dem linksrheinischen Gebiet von Kurmainz existierte jedoch nur von März bis Juli 1793, denn Mainz wurde schnell von preußischen Truppen belagert, was schon bald zur Kapitulation der Republik führte. Die „Mainzer Republik“ war somit das erste, kurzlebige auf bürgerlich-demokratischen Grundsätzen beruhende Staatswesen auf deutschem Boden.

Wir bedanken uns herzlich bei unserem Kollegen Herrn Dr. Willem-Alexander van´t Padje, Hessische Staatskanzlei, für die zugrundelegende Ausarbeitung.